Die sprachliche Differenz hat viele Jahre dazu geführt, dass Menschen egal welchen Geschlechts, belächelt, ausgeschlossen und diffamiert wurden. Ob es die männliche Kranken-“schwester“, die männliche Stewardess (hier wird mittlerweile Steward gesagt) oder das weibliche Pendant zum Feuerwehrmann betrifft. Diese Bezeichnungen haben nicht nur Nebenwirkungen auf die weibliche Emanzipation, sondern auch auf die männliche.
Dass Sprache nicht nur zum Austausch von Wissen und Informationen dient, sondern auch Ausdruck großer Gefühle sein kann, ist nichts Neues. Dass sie in unserem Gegenüber etwas Individuelles auslöst und Spielraum für Interpretationen lässt, auch nicht. Berühmte Gedichte oder Songtexte, die bis heute auf die unterschiedlichsten Weisen interpretiert werden, oder auch WhatsApp Chats, bei denen zu viel zwischen den Zeilen gelesen wird - sind das beste Beispiel. Das Sprache uns auch negativ beeinflussen kann zeigen nicht nur Hassreden vieler Populisten, sondern auch Mobbing, Trolling und Co..
Warum Gleichberechtigung also auch ein sprachliches Thema geworden ist, sollte klar sein. Dennoch wird das Thema rund um die Genderdebatte gehasst und als übertrieben empfunden. Warum sind wir uns also einig, dass Sprache etwas mit uns macht, aber so uneinig, dass das Thema Gleichberechtigung auch dazu gehört?
Wenn wir von Geschlecht sprechen, meinen wir das angeborene Geschlecht. Also das was während einer Geburt festgestellt wurde. Benutzen wir das Wort Gender sprechen wir von dem gesellschaftlichen Geschlecht. Also dem, was uns durch oder vielleicht sogar im Hinblick auf unser Geschlecht mittels Erziehung, Schule, Erfahrungen etc. von der Gesellschaft mitgegeben wurde.
Hier ein kurzer Auszug aus Wikipedia
„Gendering (deutsch etwa Vergeschlechtlichung; abgeleitet von ursprüngl. engl. Gender [ˈdʒɛndɐ]) oder auch „Gendern“ ist eine Begriffsbildung, die aus dem angelsächsischen Sprachraum ins Deutsche übernommen wurde. Sie bezeichnet auf einer allgemeinen Ebene die Analyse bzw. Berücksichtigung des Geschlechter-Aspektes (etwa in Wissenschaft und Lehre). Außerdem steht das Wort für einen geschlechterbewussten Sprachgebrauch, der im Interesse der Gleichstellung der Geschlechter mit Modifikationen der“ herkömmlichen Sprache einhergeht.
[…]
Gendern bedeutet also kurz gesagt eine sprachliche Gleichstellung. Warum sich viele an dem Thema stören, liegt daran, dass es mit einem Aufwand verbunden ist: Jede Änderung bringt auch eine Umstellung und Gewöhnung an neue Normen mit sich. Andere behaupten Gendern mache einen Text unleserlich oder anstrengend. So verzichten zum Großteil öffentliche Medien auf geschlechter-faire Texte. Doch warum? Die Gewöhnung an etwas Neues ist per se anstrengend. Wenn ich mir eine neue Sprache beibringe, fühlt sich jeder Text zunächst unleserlich an und ich komme ins Stocken. Einfach aus dem Grund, weil ich diese Sprache nicht gewohnt bin. Je mehr ich mich aber an diese Sprache gewöhne, desto mehr gerate ich in einen natürlichen Lese- oder auch Redefluss.
Ja, (und hier staunen die Meisten) eine sprachliche Gleichstellung kann auch hörbar gesprochen werden. Durch den sogenannten "glottalen Plosiv", entsteht bei der Genderform des Gendergaps (aus Student und Studentin wird Student_innen. Aber hierzu später mehr) eine kurze Pause zwischen den beiden Wörtern, wodurch eine Art Kehllaut verursacht wird. Diese Art des Sprechens wird schon in vielen jungen Kulturmilieus verwendet, so unter anderem bei jungen Politiker_innen, Fridays for Future Aktivist_innen oder auch der jungen Kunstelite.
Im Sprachgebrauch – besonders im Schriftverkehr – wurde also viele Jahre nicht darauf geachtet, welche Personen sich hinter angesprochenen Gruppen oder Berufstiteln befinden. Studierende aller Geschlechter wurden einfach mit der männlichen Form Studenten zusammengefasst. Oder der Beruf Arzt mit der männlichen Form verallgemeinert. Das wirkt im ersten Moment nicht schlimm. Wenn man sich die Historie dahinter anschaut, werden einem die Ungleichheiten der Geschlechter schnell bewusst. Damals waren Frauen von Universitäten und bestimmten Berufen ausgeschlossen. Die Bezeichnung Studentin oder Ärztin gab es also gar nicht. Das hat sich dank vieler Errungenschaften großer Feministinnen geändert. Warum sträuben wir uns also, jetzt die letzten Meter zu gehen?
Heutzutage gibt es die Annahme, dass Frauen aus dem Grund noch immer selten in Führungspositionen und historisch bedingt typisch männlichen Berufen gesehen werden, weil vielen diese Möglichkeit gar nicht in den Sinn kommt. Denn tatsächlich manifestieren sich die Rollenbilder, die wir unseren Kindern mit unserer Sprache anerziehen. In einem Experiment wurden mehrere Kinder gebeten einen Beruf zu zeichnen. Natürlich waren Ärzte Männer, oder Krankenschwester Frauen. Konsequenz: Mädchen wollen Prinzessin werden, und Jungs FeuerwehrMänner. Diese Gender-Stereotypen können zum einen mit guter Erziehung aufgebrochen werden. Zum anderen aber auch mit einer genderneutralen Sprache.
Aber hinter dem Thema Gendern steckt noch mehr. Bisher wurde in der Genderdebatte meist nur auf die „beiden Geschlechter“ eingegangen, alle weiteren wurden nicht berücksichtigt. Tatsächlich kann zwischen mehr als 60 Geschlechtsidentitäten unterschieden werden, die auf vier Geschlechter runtergebrochen werden können: männlich, weiblich, trans/inter und unentschieden. Auch diese Geschlechter dürfen bei der Genderfrage nicht vernachlässigt werden. Denn „Lehrer und Lehrerinnen“ zu sagen, würde wieder einen Ausschluss aller weiteren Geschlechter bedeuten – und das sollte nicht Sinn des Genderns sein. „Lehrer, Lehrerinnen und Lehrende“ zu sagen, würde zwar alle „Geschlechter“ mit einbeziehen, aber auch wieder einen sehr starken Fokus auf das Geschlecht legen. Und das würde zu einem weiteren Ausschluss führen. So würden vielleicht lieber Lehrer als Lehrende eingestellt werden, weil vielleicht die eine oder andere Familie pikiert wäre, wenn das eigene Kind von einem „Drittgeschlechtler“ unterrichtet würde.
Es erscheint also sinnvoll, eine neutrale Berufsbezeichnung zu entwickeln, die weder das weibliche noch das männliche Geschlecht fokussiert. Weiterer Nebeneffekt: gleiche Löhne! Da eine Unterscheidung zwischen männlich und weiblich (und allen weiteren Geschlechtern) auf dem Papier nicht mehr so einfach wäre.
Deutschland ist nicht das einzige Land mit einer Genderdebatte. Auch wenn Amerika nicht von allen Themen des Genderns betroffen ist (durch das neutrale „you“), rückt das Thema neutraler Berufsbezeichnungen auch dort mehr und mehr in den Vordergrund. Es gibt im Englischen oft eine konkrete Unterscheidung zwischen den Endungen „-ess“ und „-man“, die verdeutlicht welches Geschlecht sich hinter dem Beruf versteckt. Eine Diskussion, wie man diese Endungen weglassen und durch neutrale Endungen (Beispiel: „Fireman = Firefighter“ oder „Stewardess = Flight Attendant“) ersetzen könnte, findet jedoch erst seit Kurzem statt.
Schweden ist da schon um einiges weiter. Nicht nur sprachlich: Sie versuchen anhand von genderneutralen Vorschulen die klassischen Rollenbilder in den Kinderköpfen aufzubrechen. Dort lernen Jungs nicht nur zu raufen und mit Autos zu spielen, sondern auch mal in der Gartenküche zu stehen; und Mädchen verstärkt, nein zu sagen oder auch mal zu raufen. Auf sprachlicher Ebene ging Schweden 2012 sogar so weit, dass man das genderneutrale Pronom „hen“ einführte. So werden Kinder zukünftig nicht mehr „nur“ mit ihrem Geschlecht in Verbindung gebracht. Sie können sich frei einer gesellschaftlichen Geschlechternorm entwickeln und sogar morgens entscheiden was sie heute sein wollen. Wem das schon zu weit geht, sollte sich vielleicht nicht die Vice Doku über Familien anschauen, die ihre Kinder geschlechtsneutral erziehen.
Im Tierreich spielt das Geschlecht so gut wie keine Rolle. Es gibt sogar Tiere die beide, oder kein Geschlecht besitzen. Hermaphrodite Tiere besitzen Fortpflanzungsorgane beider Geschlechter und können sich sogar zum Teil selbst fortpflanzen. Dies kann in vielen Teilen der Erde von Vorteil sein, zum Beispiel unter Wasser. So können bestimmte Fischarten ihr Geschlecht an ihre Umgebung anpassen. Erinnert man sich an den Film „Findet Nemo“, denkt man eher an die traurige Geschichte und die tollpatschige Dori, als an eine Genderdebatte. Denn Nemo ist ein Hermaphrodit. Dennoch einer der liebsten Familienfilme seit Jahren.
So sagt Margarete Stokowski in ihrem Buch „Untenrum frei“:
„Ungerechtigkeiten zwischen den Geschlechtern aufzuzeigen wirkt manchmal so, als wolle man die Gräben zwischen ihnen vertiefen, obwohl man sie auf Dauer abschaffen will: Ein nerviges Dilemma, aus dem man nicht rauskommt, solange man Probleme benennen will.“
Ausgerechnet ist, dass wir in mehr als über 100 Jahren erst in einer Welt mit einer geschlechtlichen Gleichstellung Leben werden. Wir sollten jetzt anfangen in einer Welt zu leben, wo jeder so sein kann wie er möchte. Ob männlich, weiblich, trans oder non […]. Sprache kann dieses Bewusstsein verstärken, damit wir nicht noch hundert Jahre von einer Gleichberechtigung sprechen, die faktisch nicht existiert.
*Alle Beispiele wurden anhand des generisch maskulinen Nomen Student abgeleitet.
Nennung "beider" Geschlechter:
Die gängigste Form ist beide Geschlechter zu nennen (Paarform). Dies kann durch eine aktive Nennung geschehen.
Bsp.: Studenten und Studentinnen
Oder aber auch durch das Binnen-I. Das große Binnen-I verbindet die männliche und weiblichen Form durch das große I. Hier muss die männliche Form immer am Anfang stehen, damit eine klare Unterscheidung deutlich wird.
Bsp.: StudentInnen
Dies kann auch durch eine Trennung mittels Schrägstrich funktionieren (das sogenannte Splitting).
Bsp.: Student/innen
! Doch leider werden bei all diesen Bezeichnungen nur Mann und Frau einbezogen.
Nennung aller Geschlechter:
Da einer der Hauptgründe zu gendern ist, dass Menschen sich nicht mehr von Debatten, Berufen etc. ausgeschlossen fühlen sollen, macht eine ledigliche Nennung beider Geschlechter wenig Sinn. Damit sich wirklich alle angesprochen und eingeschlossen fühlen können, gibt es diese Gender-Methodiken. Diese Methodiken können auch stark hörbar gesprochen werden. Wie oben schon erklärt, wird beim glottalen Plosiv die bewusste Pause mitgesprochen, wodurch ein Kehllaut entsteht.
Mit dem Gender Star und dem Gender-Gap kann eine geschlechtliche Binarität stattfinden. So werden alle weiteren Geschlechter in der Mitte miteingeschlossen und finden ihren Platz ohne namentlich genannt zu werden.
Bsp. Gender Star: Stundent*innen
Bsp. Gender-Gap: Student_innen
Ebenfalls wird eine komplette Vermeidung geschlechtsspezifischer Pronomen oder Endungen in Erwägung gezogen. Der genderneutrale Singular ist eine bisher noch nicht ganz ausgereifte Art des genderns. Hier wird der generische Maskulin aus dem lateinischen abgeleitet und mit einem Partizip Präsens „(en)de“ versehen. Doch leider funktioniert es nicht mit allen Nomen.
Bsp.: Studierende (funktioniert)
Bsp.: Abiturient = Abiturierende?
In der digitalen Welt findet das Gendern auch erst seit kurzem "seinen" Platz. In Kontaktformularen auf Webseiten kann man mittlerweile zwischen männlich, weiblich und divers auswählen. Doch wie steht es dann, um die von den Kunden meist gewünschte persönliche Anrede? "Lieber Herr..." äh... "Liebes..." shit. Ok. Also neutral bleiben. Was ist denn mit "Guten Tag <Name>" oder "Hallo <Name>" und die alten Spießigkeiten einfach mal hinter sich lassen? In der heutigen Zeit sollte man einem doch nicht mehr extra sagen müssen, welches Geschlecht man hat.
Gehen wir ins textliche Gendern auf Webseiten über, sollten wir hier auch die Nutzerfreundlichkeit im Hinblick auf Barrierefreiheit beachten. Um eine Art glotalen Plosiv des Screenreaders zu verursachen sollte hier nur mit ":" gegendert werden.
Bsp.: Student:innen
Der Screenreader hat gelernt: Bei einem Doppelpunkt wird eine sprachliche Pause eingelegt. So könnt ihr auch im Hinblick auf Barrierefreiheit sicher gehen, dass nicht "Student Sternchen innen" gelesen wird. Das könnte dann tatsächlich ein bisschen anstrengend werden.