CONTENTS

One rant a day keeps the doctor away?

Oder: Wie ich versucht habe, mich eine Woche lang nicht aufzuregen

Autor

Wanda Martini

Ich glaube, meine Kollegen finden, ich „hasse“ viel. Zu meinem vorletzten Geburtstag bekam ich ein kleines Buch, sie haben es liebevoll als „Wanda’s Hate-List“ bezeichnet und waren sogar so nett, die ersten Seiten zu füllen. Mit Dingen (oder Personen) über die ich wohl schon behauptet habe, sie zu hassen.


In diesem Buch finden sich dann so Aussagen wie „Ich hasse Honig in kalten Getränken“ (harmlos), „Ich hasse es, wenn Menschen bei Sprachnachrichten zuerst laut atmen, ihre Spucke sammeln und erst dann anfangen, zu reden“ (schon etwas bedenklicher, klingt fast wie ein Trauma) oder „Ich hasse den Geruch von Babys. Oder alten Menschen“ (Ernsthaft? Sowas sagt man doch nicht, sondern denkt es höchstens).

Mein Freund hat mir dann zu meinem Geburtstag ein Buch geschenkt. Es trägt den Titel „Calm“. Es geht darum, wie wichtig Gelassenheit ist, welchen Einfluss sie auf die Entscheidungen hat, die wir jeden Tag treffen und wie wir es schaffen können, diese Gelassenheit zu erlangen und ein glücklicherer Mensch zu werden. Klingt total vernünftig und wichtig alles, aber mein erster Gedanke war: „Warum zur Hölle bekomme ich sowas zum Geburtstag geschenkt - von meinem Freund?“. Ganz einfach: Nach jeder akuten Phase des Aufregens folgt bei mir scheinbar eine Art „Kater“. Ich rege mich im Grunde darüber auf, dass ich mich so viel aufrege. Wie kann man nur so bescheuert sein.

Also habe ich mich auf ein Experiment mit mir selber eingelassen: eine Woche alles mit mehr Gelassenheit nehmen und dann schauen, wie sich die Woche rückblickend angefühlt hat und ob ich ein neuer Mensch geworden bin.

Tag Eins

Es regnet in Strömen. Seit das Kölner fork Office umgezogen ist, habe ich einen Radweg von ca. 25 Minuten. Mit der Bahn fahren kommt nicht wirklich in Frage (erstens: die Kölner Verkehrsbetriebe und insbesondere ihre Fahrgäste bieten einfach zu viel Hass-Potenzial, zweitens: das Bahnnetz von meiner Wohnung bis ins Büro ist einfach wirklich schlecht). Alles kein Problem! Das neue Ich lässt sich von sowas nicht abschrecken und ich schmeiße mich in meine sehr modische Regenkleidung. „Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung“, und so. Es ist kalt, sehr nass und auch Autofahrer werden im Regen nicht zu besseren Menschen. Dennoch bleibe ich ruhig. Ich werde an Tag eins nicht einbrechen. Alles läuft gut, bis etwa Kilometer 5. Ich weiß nicht genau, ob es einen Auslöser gab, Fakt ist, ich schreie innerhalb von 3 Minuten drei Kinder bzw. Jugendliche an, dass das „verdammt noch mal ein Radweg ist“.

Tag zwei

Nach dem schlechten Start von Tag eins, will ich mir heute extra Mühe geben. Ich versuche es so zu machen, wie ich glaube, dass man es beim Meditieren machen soll: Wenn (negative) Gedanken kommen ist das okay, aber ich versuche, sie von außen zu betrachten und dann einfach ziehen zu lassen. Und, was soll ich sagen? Es funktioniert. Einziger Nachteil: Ich merke erst so richtig, wie viele Situationen es gibt, in denen ich mich aufregen würde. Jemand telefoniert zu laut: Hass. Jemand lässt seine Kaffeetasse auf der Spülmaschine stehen, statt sie einzuräumen: Hass. Jemand schickt mir eine WhatsApp Nachricht, in der ausgewählte Wörter gegen Emojis ausgetauscht werden: Hass wäre sogar noch untertrieben. Aber das nehme ich heute nur zur Kenntnis und lasse es vorbeiziehen.

Tag drei

Buddha war nichts im Vergleich zu mir. Ich bin so zen, nicht mal Impfgegner würden mich heute aus der Ruhe bringen.

Tag vier

Rückfall. Drei Kinderwagen nebeneinander auf dem Parkweg schieben? Wirklich?

Tag fünf

Ob wohl schon jemandem aufgefallen ist, wie gelassen ich bin? Wenn ich sonst für meinen Hass bekannt bin, müsste das ja schon längst hinter hervorgehaltenen Händen durch die Flure geraunt werden. Aber irgendwie kann ich nichts dergleichen feststellen. Selbst als ich es forciere („Ich könnte mich ja jetzt darüber aufregen, aber tu’s nicht“) bekomme ich nicht mehr als eine hochgezogene Augenbraue. Vielleicht ist es ja am Ende doch alles nicht so wild?

Fazit

Ich habe festgestellt: Den gesamten Hass „ziehen lassen“ ist auch kontraproduktiv. Zwar gelingt es mir tatsächlich - wenn ich es bewusst angehe - Situationen gelassen zu nehmen. Aber irgendwie ist es so, als würde sich der Hass unbenutzt in mir anstauen. Wenn ich so nachdenke, bin ich eigentlich ein ziemlich ausgeglichener Mensch. Ich rege mich kaum über wirklich wichtige Dinge auf oder streite mich mit Fremden in Facebook-Kommentaren (zur Sicherheit habe ich letztens mein Facebook-Konto gelöscht). Also schade ich im Grunde niemandem damit - und es ist auf jeden Fall besser, als wenn ich irgendwann keinen Platz mehr für den ganzen angestauten, unbenutzten Hass habe und in einer völlig unpassenden Situation explodiere.

Und sind wir mal ehrlich: Eigentlich sind doch Menschen, die sich über belanglose Kleinigkeiten aufregen, viel sympathischer als die, die alles immer mit einem Lächeln abtun. Ich würde sogar so weit gehen: Wir sind die besseren Menschen. Und wenn ich mich bei meinen Kollegen umschaue: So richtig friedvoll ist hier niemand. Auch wenn der ein oder andere das über sich denken mag, eine kleine Recherche in unserem Kommunikationstool Slack zeigt: Da ist ziemlich viel Hass (siehe: Der Hass-Ticker) 🖤

Die Ungeliebten

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