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Walden – ein romantischer Relaunch

Nur eine halbe Stunde Autofahrt und ich bin da: mitten im Wald, umgeben von der Natur, raus aus Hamburg.

Autor

Louisa Schröder

Vom Parkplatz sind es nur noch wenige Meter. Die Bäume, die mich hier umringen sind höher als mein Wohnhaus und wahrscheinlich älter, als alle meine Großeltern zusammen. Meine Füße treten auf weichen Boden, der Wind in den Blättern rauscht im Hintergrund und selbst die Luft ist hier irgendwie frischer.

Doch als ich um die nächste Ecke biege, ist es vorbei mit der malerischen Naturidylle. Ein kaum enden wollender Strom an Spaziergängern marschiert in militärischem Gleichschritt über einen der Hauptwege im Wald. An mir ziehen aufgekrempelte Wollmützen, karierte Flanellhemden und die Trends der aktuellen Globetrotter-Kollektion in Scharen vorbei. Spazierengehen gehört jetzt zum Lifestyle der neuen Bio-Bohème, die sich stets entschleunigen möchte, achtsam handelt und sich von Zeit zu Zeit digital detoxt.

Neue Begeisterung für die Natur und alles was sie so hergibt, zeigt sich auch in Cremes aus Granatapfelextrakt und kaltgepresstem Bio-Olivenöl – natürlich ohne synthetische Duftstoffe, Parabene, Silikone, Paraffine und dem ganzen bösen Zeug – oder Birkenstocklatschen in sämtlichen Farben und Formen – natürlich mit orthopädischem Fußbett und fair produziert. Auch meine Freunde und Kollegen berichten leuchtenden Auges vom Wandern in Georgien statt fünf-Sterne-All-inclusive auf Ibiza. „Abenteuer vor der Haustür“ gibt’s sogar am Kiosk, wie das Magazin WALDEN verspricht. Wissenswertes über Natur, Outdoor und Unterwegssein soll laut Verlagshaus Gruner + Jahr „die Sehnsucht nach Natur, stilvollem Unterwegssein und ursprünglichen Outdoor-Erlebnissen“ stillen. Bereits auf dem Titelblatt sehe ich drei junge, hippe Szene-Typen in unfunktionalen Funktionsklamotten. Unter der Überschrift „Mach dein Ding“ grillen sie in stimmungsvoller Abendsonne einen Fisch über dem Lagerfeuer und scheinen die zufriedensten Menschen der Welt zu sein. Die WOLF lockt ihre Leser unterdessen mit Themen wie „weniger Tempo, mehr Leben“, Analogtechnik, Holz oder „einfach mal offline sein und seinen Freunden in der Wirklichkeit begegnen“.

Wirklich innovativ ist dieser Natur-Trend keineswegs. Bereits im 18. Jahrhundert gehörte das Wandern zu den beliebtesten Beschäftigungen von Künstlern und Intellektuellen. Durch die neu entstandene Dynamik der Industrialisierung, eine zunehmende Verstädterung und die blitzschnellen Entwicklungen in der Mobilität, strebten die Menschen nach reinen Naturerfahrungen. Berge, Wälder und Seen, die vorher einmal bärbeißig daherkamen wurden erkundet und in all ihrer Schönheit in Gemälden und Gedichten erfasst. Dieses Bestreben nach Naturerlebnissen gipfelte in der kulturgeschichtlichen Epoche der Romantik.

Die Romantiker sahen die Natur als schützenswerte Basis allen Lebens und den Menschen als einen Teil von ihr. Auf der Suche nach neuen Seheindrücken packten sie ihren Rucksack und gingen einfach mal raus. Die Flucht vor der Realität und in die Natur hatte noch einen weiteren Zweck: Welt- und Selbsterkenntnis. Und damit einem auch jeder glaubte, dass diese Erkenntnisse auf eigenen Naturerfahrungen basierten, stellten sich die Künstler stets selbst in ihren Werken dar.

Ich zücke mein Smartphone und öffne Instagram. Unter Hashtags wie #naturelover, #natureaddict, #discoverglobe und #fiftyshades_of_nature prasseln Naturfotografien auf mich ein. Von atemberaubenden Wasserfällen bis zum obligatorischen Selfie im Herbstlaub ist alles dabei – die Natur als Spiegel des eigenen Ichs funktioniert auch heutzutage.

Im Grunde ist die neue Wanderlust also ein Relaunch. Selbst das Magazin WALDEN bedient sich am literarischen Werk eines alten Romantikers: Henry David Thoreau schrieb bereits 1854 in „Walden oder Leben in den Wäldern“ über sein zeitweiliges Leben als Aussteiger. In einer Blockhütte in den Wäldern von Concord kehrte er der industrialisierten Gesellschaft den Rücken, um alles Aufgesetzte abzustreifen und sich auf das Wesentliche zu besinnen.

Über 100 Jahre später lassen wir das romantische Gedankengut wiederaufleben und befinden es als wegweisend. Dieses Plädoyer für einen Perspektivwechsel im Umgang mit der Natur kommt in den dramatischen Zeiten von Klimaerwärmung und Insektensterben vielleicht gerade noch rechtzeitig. Um die wunderschöne Natur auf unserem Planeten zu erhalten, müssen wir unser Verhältnis zu ihr rigoros überdenken. Dabei muss uns vor allem bewusst werden: Sie darf nicht nur materielles Gebilde oder farbenfrohes Setting für den nächsten Post sein, vielmehr müssen wir sie kennenlernen und als Gleichgestellte behandeln. Das fängt vor der eigenen Haustür an.

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